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Handgebunden in fünf Sekunden

Kleine Investition, große Wirkung: In schlechten Zeiten floriert das Geschäft mit Fliegen für den Herrn - zur Freude der Teltower Manufaktur Stange

Silvia Meixner

Ein kleines Modeaccessoire gehört zu den Gewinnern der großen Krise: Während die meisten Menschen in wirtschaftlich schlechten Zeiten zögern, sich neu einzukleiden, freut sich ein Unternehmer aus Brandenburg über steigende Verkaufszahlen: Jürgen Stange betreibt in Teltow eine der weltweit letzten Manufakturen für Fliegen. Das elegante Detail ist gerade jetzt eine wirksame Geheimwaffe des Mannes. "Zum einen sticht man mit einer Schleife optisch aus der Schar der Konkurrenten heraus, zum anderen suggeriert ihr Erwerb Abwechslung, auch wenn man sich vielleicht gerade keinen neuen Anzug leisten kann", sagt Jürgen Stange, selbst passionierter Fliegenträger. Und fügt lächelnd hinzu: "Eine Fliege ist also schon beinahe ein neuer Anzug."

Kleine Investition, große Wirkung. Das ist ein Argument, wenn man sparen muss. "Schon in der Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren feierte die Fliege eine Hoch-Zeit", sagt der Experte, "viele Menschen haben auch heute Angst um ihren Job, versuchen, sich vor den Mitstreitern ein bisschen herauszustellen. In schlechten Zeiten sind Accessoires wichtig." Frauen wissen das natürlich längst. Sie kaufen, wenn das Geld knapp zu werden droht, statt eines neuen Kleides vielleicht nur einen Lippenstift, dann aber den auffälligen roten. Oder ein paar Schuhe statt des ersehnten Kostüms. Man möchte etwas Neues haben, greift aus Gründen der Vernunft aber zur Sparversion.

Ob man will oder nicht - man guckt meistens hin bei Fliegenträgern. "Wenn ich zum Beispiel in der U-Bahn fahre, merke ich die neugierigen Blicke", so Stange. Man komme leicht ins Gespräch. Mit einer schnöden Krawatte gelingt das nie. Es ist sowieso gut, mit Herrn Stange ins Gespräch zu kommen: Der 65-Jährige ist Optimist, einer jener Menschen, die nicht nur manchmal, sondern konsequent positiv denken. Realistisch, aber zuversichtlich. Man wünschte sich mehr Unternehmer seines Schlages für das Land.

Ein Schleifen-Hersteller muss optimistisch sein, denn das Geschäft mit der Fliege ist ein mühsames, das Freude macht, aber nur bescheidene Margen verheißt. Dass der Absatz von Seiden-Schleifen - Jürgen Stange lässt ausschließlich aus bester italienischer Ware fertigen - steigt, liest man natürlich nicht in den Wirtschafts-Nachrichten. Es geht hier schließlich nicht um Millionen, dafür ist der Absatzmarkt einfach zu klein. Aber immerhin vier Prozent aller deutschen Männer binden sich morgens gern eine elegante Fliege um den Hals. "Das geht schneller als eine Krawatte", findet Herr Stange. Und weil das die meisten Menschen natürlich nicht glauben, führt er es gleich vor. Tatsächlich: fünf Sekunden - jahrelange Übung vorausgesetzt. Die Schleife wird eigentlich genauso gebunden wie der Schnürsenkel am Schuhe.

In Teltow befindet sich eine der letzten Manufakturen, die Fliegen höchster Qualität herstellt. Es ist ein Familienbetrieb, der im Jahr 1934 gegründet wurde, nach der Wende zog das Unternehmen aus Platzgründen vor die Tore der Stadt. Neben Seidenschleifen werden auch Ziertücher, Kummerbunde und Westen geschneidert, gern nach Maß. "Wir sind ein Fossil", sagt Jürgen Stange, der das Unternehmen mit acht Mitarbeitern seit 1972 führt. Davor hatte er, als Student, eine kurzzeitige Protestphase, in der er ausschließlich Rollkragenpullover trug. Firlefanz, vergeben und vergessen. Selbstverständlich kehrte der Mann wieder reumütig zur Seidenware zurück.

Das Herstellen von Fliegen ist, obwohl ein Teil der Modebranche, kein glamouröses Unterfangen. Ein Computer schneidet in einem der zwei großen Werkstatträume die Stoffe zu, der Rest ist Handarbeit. Weshalb "Fliegen Stange Berlin" eine eingetragene Manufaktur ist, wie beispielsweise auch KPM. In einer Manufaktur müssen mindestens 50 Prozent der Arbeitsvorgänge händisch ausgeführt werden.

Schleifentragen ist Herrensache, das Herstellen derselben allerdings eine weibliche Spezialität. Die Näherinnen hier sind so flink, dass man ins Staunen gerät: Kaum wurden zwei Stücke feiner Seide übereinander gelegt, ist die Fliege auch schon fertig genäht und muss nun in Form gebracht werden. Das geschieht mit einem kleinen Holzstab, mit dem die Näherinnen sanft von innen die Nähte nach außen drücken. Danach wird die Fliege vorsichtig und beherzt zugleich gebügelt und liebevoll verpackt.

Von Teltow aus beliefert Jürgen Stange große und kleine Kaufhäuser und Einzelhändler in Deutschland, Europa, den USA und Kanada. Seit dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin hat er einen neuen Kundenkreis ausgemacht: die Diplomaten. "Botschafter gehören zu unseren besten Kunden", sagt er. Rund 50 Euro kostet eine Seidenfliege, wer sich nach Teltow begibt, kann zehn Euro sparen und staunen: Hier gibt es Schleifen in so vielen Farben und Mustern, dass die Wahl schwer fällt. Ein Paradies mit Klassikern mit Streifen, Karos oder Pünktchen auch Stoffe mit Hunden, Erdbeeren, Büchern, Enten, Vögeln, Pferden, hunderte verschiedene Modelle. Manch einer, der eigentlich nur eine kaufen wollte, ging zufrieden mit einem halben Dutzend. Weil er sich einfach nicht entscheiden konnte (nicht nur Frauen sind so!).

Das Hoch an der Fliegenfront ist ein bisschen auch als Belohnung für einen beharrlichen, unverzagten Unternehmer zu sehen. Die meisten Konkurrenten gaben in den vergangenen Jahren auf. Stange nicht. Er biss die Zähne zusammen, behielt die Konkurrenz in Asien im Blick und setzte unbeirrbar auf höchste Qualität. Er vertraute darauf, dass es trotz der riesigen Konkurrenz von Billig-Schleifen aus China immer auch Männer geben wird, die eine handgenähte aus allerbester Seide, vielleicht auch mit einem ausgefallenen Muster haben möchten.

Der Gentleman bindet selbst, das war schon immer so, echte Fliegen-Fans lehnen die vorgebundene Fliege, wie sie viele Kaufhäuser anbieten, grundsätzlich ab. Mit Ware aus China macht Jürgen Stange gern kurzen Prozess. Das ist kein großer Verlust, die Dinger kosten schließlich nicht viel. Er nimmt eine Schere und zerschnipselt sie, im Blick jene Verachtung, die man bei Perfektionisten angesichts schlechter Ware findet: "Die sind genagelt", moniert Jürgen Stange. Der Stoff schnell und lieblos genäht, die Schleife nicht gebunden, sondern nur geklebt. "In meinen Augen ist das ein Faschingsprodukt", sagt er. Ein billiges Accessoire für eine fröhliche Nacht - und danach ab in den Müll damit. Nichts für Individualisten, zu denen die Fliegenträger gehören oder gehören möchten: "Unsere Kunden sind Männer, die sich nicht scheuen, aufzufallen." Ob sie dann wirklich amüsanter und interessanter als ein Krawatten- oder T-Shirt-Träger sind, bleibt abzuwarten. Jedenfalls kommt man schnell mit ihnen ins Gespräch, zur Not fragt man sie einfach, wo sie die hübsche Fliege her haben.

Derzeit sind, nach Jahren der Streifen-Konjunktur, Schottenkaros modern. Und der mutige Herr, der sich auch in schwierigen Zeiten nicht unterkriegen lässt, greift zur Farbe. Die Töne der Saison sind Lila, Rot und Flieder. Fliegen-Farben, die man nun wirklich nicht übersehen kann.

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Info

Werksverkauf Mo-Fr 9-16 Uhr, Stahnsdorfer Straße 3, 14513 Teltow, www.stange-berlin.de

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Quelle: Silvia Meixner, Berliner Zeitung, 21. März 2009

Fliegen gegen die Wirtschaftskrise Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm